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Hallo zusammen,
ich melde mich aus Bangkok und hatte das starke Bedürfnis, einige Gedanken in Worte zu fassen, die mich in den letzten Tagen beschäftigt haben. Ich bin mir nicht sicher, in welche Richtung sich der Text entwickeln wird, ob ihr nachvollziehen könnt, warum ich das schreibe, und ob ihr darin einen tieferen Sinn finden werdet. So oder so… ich schreibe diese Zeilen trotzdem auf 😅.

Bereits Ende 2023 gründete ich von Deutschland aus meine LTD auf Zypern. Im März 2024 verließ ich Deutschland und reiste nach Zypern, Las Palmas, Malaysia und schließlich Thailand, Bangkok. Ein wildes, kompliziertes und doch schönes Jahr, geprägt von vielen neuen Eindrücken, neigt sich dem Ende zu. Dieser Blogeintrag wird kein klassischer Jahresrückblick, in dem ich euch alle Reiseziele von 2024 vorstelle. Wenn ihr die einzelnen Videos oder Blogs zu den jeweiligen Ländern lesen möchtet, scrollt ganz nach unten. Dort habe ich die letzten Beiträge verlinkt.

In diesem Blogeintrag möchte ich mich auf die Überschrift konzentrieren – Life is Strange. Dieses Motto begleitet mich schon viele Jahre und zeigt mir immer wieder, wie seltsam und unberechenbar das Leben sein kann. Einige denken vielleicht, dass es negativ klingt – doch so meine ich es nicht. Oder vielleicht doch? Genau darum geht es: Am Ende liegt es immer an uns selbst, wie wir die jeweiligen Momente, Situationen, Probleme, Widrigkeiten usw. aufnehmen, annehmen und verarbeiten wollen.

In meiner Welt dreht sich alles (und tut es größtenteils immer noch) um die Arbeit, das Reisen und das Sammeln neuer Eindrücke. Wie erwähnt, war ich 2024 in einigen Ländern, habe mich jedoch nicht mit anderen Expats (digitalen Nomaden, Reisenden, Work & Travel-Menschen) vernetzt. Mein Charakter strebt nicht nach (zwanghaftem) Networking. Wenn ich mit Menschen ins Gespräch komme, ist das nett, aber ich suche nicht bewusst den Kontakt. Es gibt Foren, Facebook- und Telegram-Gruppen zum Netzwerken und Kennenlernen – aber das ist alles nichts für mich. Jemand sagte einmal zu mir, ich sei ein „Beobachter“, und damit hatte er nicht ganz unrecht. In jedem Land, das ich besuche, gehe ich spazieren, setze mich in eine ruhige Ecke, genieße die Landschaft und beobachte die Menschen in ihrem Alltag. Man lernt so viel über Menschen, wenn man sie einfach nur beobachtet. Welche Gedanken und Fragen dabei in mir aufkommen, darauf möchte ich heute nicht eingehen. Es gibt ein bestimmtes Thema, das mich seit einigen Tagen beschäftigt. Dieser Gedanke kam mir, als ich nach dem Training auf die Dachterrasse ging und die wunderschöne Skyline von Bangkok betrachtete, während, in meinen Kopfhörern, Coldplay „Yellow“ spielte.

Ich saß dort, hatte die Welt vor mir, die Lichter erhellten meine Augen, ein sanfter Wind strich über meine Haut, und ich dachte an all die Menschen, die ich bisher getroffen habe – besonders an jene, die mich massiert haben. Ja, ich liebe Massagen, und ja, ich brauche sie, da ich bis heute nicht völlig schmerzfrei von meinen Hüft-OPs bin. Dafür investiere ich viele Hundert Euro im Monat. Doch abgesehen davon habe ich bei jeder Massage interessante Menschen kennengelernt, die mir ihr Leben offenlegten und fast jede meiner Fragen ehrlich beantworteten.

Ich möchte euch in einige dieser Geschichten mitnehmen, werde jedoch nicht auf alle Details eingehen. Es sind Bruchstücke von Erlebnissen, die ich teilen möchte, damit ihr den Sinn dieses Blogeintrags versteht.

Vorab: In Thailand und anderen Ländern ist es üblich, dass Massagen auch im eigenen Apartment stattfinden, sodass man nicht hinausgehen muss. Es versteht sich von selbst, dass die meisten Angebote nicht nur auf reine Massagen ausgelegt sind. In meinem Fall hatte ich zu 95 % Masseurinnen, die ihr Handwerk zwar hervorragend beherrschten aber mich immer etwa 30 Minuten vor Ende der Massagezeit fragten, ob ich mehr wolle als nur eine Massage. Ein Nein wurde stets mit einem Lächeln akzeptiert, und die Massage ging einfach weiter.

MASSAGE STORIES

Annie:
Sie war die erste Person, die mich in Bangkok massierte. Eine Thailänderin, etwas jünger als ich, sportlich, gutaussehend – allerdings mit aufgespritzten Lippen, was ein bisschen zu viel des Guten war. Sie massierte mich zwei Stunden lang, und wir kamen ins Gespräch. Annie stammte nicht aus Bangkok und mochte ihren Beruf nicht wirklich. Sie erzählte mir, wie angewidert sie sei, wenn sie alte Männer sieht, die mit jungen Thailänderinnen in Zimmern verschwinden. Pattaya sei zum Beispiel berüchtigt dafür, ein „Sündenloch“ zu sein, in dem sich viele absichtlich verlieren. Es ist kein Geheimnis, dass auch viele Deutsche Sextourismus betreiben. Doch laut Annie gibt es zwei Nationalitäten, die die Deutschen übertreffen: Inder und Pakistaner. Diese Aussage wurde später auch von anderen Masseurinnen bestätigt. Obwohl ich damit nichts zu tun hatte, die Personen nicht kannte etc. schämte ich mich für „meine“ Landsleute.

Ich fragte Annie, warum sie diesen Beruf ausübt. Sie erklärte, dass sie – im Vergleich zu vielen anderen – nur begrenzte „Services“ anbietet und dass die Einnahmen sehr lukrativ seien. In Büro-Jobs verdiene man angeblich etwa 500–800 Baht (ca. 14–22 €), während durch Massagen zwischen 1.000 und 5.000+ Baht (ca. 28–140+ €) pro Kunde möglich seien. Normalerweise hat sie täglich drei bis sechs Kunden. Ich hörte ihr zu, konnte ihre Begründung jedoch nicht vollständig nachvollziehen.

Kathy:
Vermutlich die witzigste Massage, die ich je hatte. Kathy ist eine bildhübsche Thailänderin mit einem leicht japanischen Erscheinungsbild. Wir unterhielten uns die kompletten zwei Stunden durchgehend. Relativ am Anfang der Massage kamen wir auf das Thema Preise zu sprechen. Ich nutzte den Moment, um sie zu fragen, wie die Preise zustande kommen, ob sie die Einnahmen zu 100 % behalten darf, und natürlich meine Standardfrage: „Do you want to do this, or do you have to do this?“ – also: „Willst du das tun, oder musst du das tun?“

Für die reine Massage muss sie oft die Hälfte abgeben. Alle zusätzlichen Services, die sie anbietet, gehören jedoch komplett ihr. Auf die Frage, ob sie das gerne macht oder machen muss, antwortete sie nicht direkt. Es war ihr sichtlich unangenehm, also wechselte ich das Thema. Wir sprachen über Liebe, Beziehungen, Reiseziele, Filme, Wünsche und Träume. Kathy erzählte mir, dass ihre letzte Beziehung vier Jahre zurückliegt. Nach einer schmerzhaften Trennung verließ sie ihre Heimatstadt und zog nach Bangkok. Kurz danach begann sie mit diesem Job. Seitdem ist sie Single.

Manchmal war die Verständigung schwierig, aber Google Translate machte uns das Leben einfacher. Nachdem die „Deep-Talk Themen“ vorbei waren, erzählte sie mir von ihren Hobbys: Wie gerne sie schläft und isst, Horrorfilme schaut und wie „langweilig“ sie ihrer Meinung nach sei. Unsere Gespräche waren so absurd, dass wir uns ständig gegenseitig zum Lachen brachten. Ich scherzte, sie hätte bestimmt zu viele Horrorfilme gesehen und plane schon, mich umzubringen, um dann in meinem Apartment zu leben. Sie lachte und meinte, sie müsse erst ein Foto von mir machen, um über mein Handy Essen zu bestellen (FacheLock) – sonst lohne sich der Aufwand für den Mord nicht. Makaber, aber genau mein Humor. Obwohl sie ihren Job nicht besonders mochte, strahlte sie eine angenehme Energie aus.

Polly:
Die älteste Person, die mich massiert hat. Polly war eine Frau mit teilweise gelähmten Gesichtszügen aufgrund einer Krankheit. Man konnte bei ihr kaum erkennen, ob sie etwas im Spaß oder ernst meinte. Sie sprach das selbst an und sagte: „Meine Freude und mein Lächeln kannst du an meinen Augen erkennen.“ Und so war es tatsächlich auch: Wenn ein Mensch von Herzen lacht, bilden sich Lachfalten um die Augen. Achtet mal darauf wenn ich euch mit jemanden unterhaltet und die Person dabei lächelt. Ihr könnt somit erkennen ob das Lächeln ein gefaktes ist oder nicht.

Man merkte Polly an, dass sie schon einiges hinter sich hatte. Sie sah nicht unbedingt „verbraucht“ aus, aber die Zeit hatte Spuren hinterlassen – und das, obwohl sie nur zwei Jahre jünger war als ich. Ihre Lebenserfahrung war in jeder Hinsicht beeindruckend – sowohl im positiven als auch im negativen Sinne.  Sie sprach offen über ihre Vergangenheit: Krankheit, Gefängnis, Probleme in der Familie, viele Reisen nach Korea, Dubai, Indien usw. Diese Reisen wurden von ihrem Chef bezahlt – einem Mann, der nicht ihr Feier war, sondern Teil eines viel größeren Netzwerks. Polly erklärte, dass dieses Massage-Kartells weit verzweigter ist, als man sich vorstellen könne, und dass viele Masseurinnen sehr gut vernetzt sind.

Trotz allem, was sie erlebt hatte – unzählige Kunden, problematische Situationen, die sie bewältigen musste – hatte sie ihre Lebenslust nicht verloren. Im Gegenteil, ihre positive Energie war ansteckend. Ich fragte sie, wie sie mit unangenehmen Kunden umgeht, besonders während ihrer Zeit in Indien. Sie erklärte, dass sie alles unter Kontrolle hatte, bestätigte aber, wie viele andere auch, dass Inder und Pakistaner oft „die Schlimmsten“ seien: respektlos, mit vielen Wünschen und Vorstellungen, aber kaum bereit, dafür zu zahlen. Sie zeigte mir sogar ihr Handy, auf dem ein Pakistaner (in Bangkok) ihr kürzlich ein Video geschickt hatte. Darauf filmte er, wie er eine andere Masseurin für Sex bezahlte. Der Akt war zu sehen. Sie lachte nur und meinte: „Idiot.“

GEDANKENSPIELE

In den letzten Wochen hatte ich immer wieder Gespräche dieser Art. Einige mochten ihren Job, wie eine Masseuse, die mir sagte: „Come in, fuck, enjoy, and go… don’t think too much.“ Andere versuchten, ein gutes Gleichgewicht zu finden, und wiederum andere konzentrierten sich ausschließlich auf die Massage.

Ich weiß, was die meisten von euch jetzt denken: „Wie kann man nur so etwas machen? Man verkauft doch seine Seele, seine Würde, oder nicht?“ Genau das dachte ich auch. Vielleicht steckt sogar mehr als ein Funken Wahrheit darin. Doch erlaubt mir, euch in einen dieser „Life is Strange“-Momente zu entführen.

Als ich auf der Dachterrasse saß und all diese Gespräche und Erlebnisse in meinem Kopf, meinem Herzen und meiner Seele verarbeitete, wurde mir etwas bewusst: Mit welchem Selbstverständnis, welcher Arroganz und scheinbar moralischen Überlegenheit ich Menschen in Kategorien einordnete, sie abstempelte und Mitleid mit ihnen hatte – als wäre ich etwas Besseres. In diesem Moment hatte ich das Bild dieses widerlichen Pakistaners im Kopf, der sich beim Sex filmte und es anderen schickte. Und plötzlich fühlte ich mich nicht besser als dieses Subjekt. Es war ein unangenehmes Gefühl.

Genau in diesem Moment lief „Yellow“ von Coldplay. Die Lyrics passten kaum zu meinen Gedanken, aber die Musik und einzelne Fragmente der Worte – besonders diese Stelle – packten mich:

„Your skin, oh yeah, your skin and bones
Turn into something beautiful.“
„Look at the stars,
Look how they shine for you,
And all the things that you do.“

Jede einzelne Person, die ich getroffen habe, hat eine persönliche Geschichte. Geschichten, die auf ihre Weise tragisch, traurig, deprimierend oder ungerecht sind. Leben, die oft hoffnungslos erscheinen. Doch trotz all dieser Widrigkeiten haben diese Menschen Wege gefunden, da rauszukommen. Sie haben die Kontrolle über ihr Schicksal übernommen und den Überlebenskampf angenommen.

Ja, sie tun Dinge, die wir oft als „schlecht“ abstempeln. Aber sie tun es, weil es für sie die bessere – oder sogar die einzige – Möglichkeit ist, einem noch schlimmeren Leben zu entkommen. Diese Sehnsucht nach einem besseren/anderen Leben hat sie dorthin getrieben, wo sie heute sind. Und in vielen Fällen geht es ihnen tatsächlich besser als zuvor.

Dieser Mut und diese Kraft, das alte, kaputte Leben hinter sich zu lassen und einen neuen Weg zu gehen – wie stark muss man sein, um das durchzustehen?

Um eines klarzustellen: Ich glorifiziere diesen Job nicht. Aber ich habe großen Respekt vor diesen Menschen, die nicht nur um kämpfen, sondern bereit sind, alles zu geben, um niemals wieder in das hoffnungslose Leben von früher zurückkehren zu müssen.

LIFE IS STRANGE

Was hat das alles mit „Life is Strange“ zu tun? Das Motto beschreibt für mich das Leben in all seinen Facetten – den guten, den schlechten und den schlimmen. Doch am Ende liegt es an uns, was wir daraus machen und wie wir das Leben sehen wollen. Wir entscheiden, wo wir das Gute und das Schlechte finden.

Die Menschen, die ich bisher kennengelernt und mit denen ich gesprochen habe, mussten viele Entscheidungen treffen. Entscheidungen, die ihnen bestimmt nicht leicht gefallen sind. Aber in unserer Blase, in der Welt, in der wir unterwegs sind, sehen wir oft nicht, wie die echte Realität aussieht.

Das Motto zeigt mir immer wieder, dass man Menschen nicht abstempeln darf. Wir kennen weder ihre Geschichte noch die Kämpfe, die sie durchstehen mussten oder müssen. Jede einzelne Person hat ihre eigene Geschichte zu erzählen und die meisten Menschen, die Berufe wie diesen wählen, tun es nicht, weil sie begeistert davon sind. Es ist die beste Option die sie sehen und eventuell haben. Also wer bin ich, mir ein Urteil darüber zu erlauben? Dazu fällt mir ein schönes Zitat ein:

„People see what decisions we madebut never see what choices we had“

Während ich diese Gedanken niederschreibe, muss ich schmunzeln. Würde ich diesen „Gedanken-Wirrwarr“ einer bestimmten, hier nicht erwähnten Masseuse zeigen, würde sie vermutlich lächelnd sagen: „Don’t think, just fuck and enjoy life. This is Thailand. No worries.“

In diesem Sinne komme ich langsam zum Ende. Ich habe zwar nicht vor, Thailand so zu genießen, wie die Dame es vorgeschlagen hat, aber vielleicht sollte ich wirklich manchmal weniger nachdenken. Vielleicht sollte ich meinen moralischen Kompass nicht dazu benutzen, Menschen zu bemitleiden oder zu glauben, dass sie alle am leiden sind.

2025 werde ich weitere Länder bereisen und freue mich schon jetzt auf neue, spontane „Life is Strange“-Momente. Danke, dass ihr mich 2024 auf meiner Reise begleitet habt. Ich hoffe, dass ich euch mit meinen Beiträgen, Videos und Bildern einen Mehrwert bieten konnte und wünsche mir, euch auch 2025 wieder dabei zu haben. Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr! Möge 2025 euch viele schöne Momente und Erlebnisse schenken und euch Kraft in allen Krisen geben.

/rehman

PS: Hier noch ein kurzes Video mit einer kleinen „Room Tour“ und Nachtaufnahmen von der Dachterrasse.🙏🏽 😇

 

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